In: Sozialpädagogik Nr. 1/2002: 18-24
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Internationaler
Terrorismus und Jugendgewalt – ein Vergleich von zwei scheinbar
unvergleichbaren Phänomenen
Die Gesellschaft reagiert auf Gewaltakte von Terroristen und Jugendlichen ähnlich fassungslos. Sucht man nach Gründen für diese scheinbar unverständlichen physischen Aggressionen gegen Menschen und Sachen, stösst man auf bemerkenswerte Parallelen zwischen den beiden Phänomenen.
Martin
Hafen Martin
Hafen, Basel, Soziologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule für
Soziale Arbeit Luzern, Fachbereich Prävention. Der Text basiert auf einem
Vortrag, den der Autor am 25.10.01 anlässlich der Projektwoche „Finito
– Halt der Gewalt“ in der Gemeinde Emmenbrücke hielt.
Was
hat der Tod von 5'000 unschuldigen Menschen in New York, mit einem Schüler
zu tun, der auf dem Weg zur Schule von einer Gruppe Gleichaltriger
zusammengeschlagen wird? Was haben ein Briefumschlag mit
Milzbrandbakterien und ein gezücktes Schmetterlingsmesser gemeinsam? Was
verbindet einen zerfetzten Bus in Israel mit einer verschmierten Häuserfassade
oder einer zerstörten Telefonkabine? Wenig, möchte man auf den ersten
Blick sagen. Doch beschränken sie die Ähnlichkeiten der geschilderten
Vorfälle wirklich nur darauf, dass es sich um Gewaltakte handelt? Gibt es
nicht auch gemeinsame Erklärungen für diese scheinbar sinnlosen
Gewaltakte? Und wenn es solche Gemeinsamkeiten gibt: sind dann nicht auch
Massnahmen vergleichbar, mit denen die Gesellschaft auf die zerstörerische
und Angst machende Gewalt reagiert oder reagieren könnte? Die
folgende theoriegeleitete[1]
und vergleichende Analyse der medienwirksamen Phänomene ‚Terrorismus’
und ‚Jugendgewalt’ soll dazu beitragen, diese Fragen zu beantworten.
Sie soll weiter das Bewusstsein dafür wecken, dass sich weder Terrorismus
noch Jugendgewalt schicksalshaft ereignen, sondern dass sie wie alle
Gewaltakte Teil und Folge der gesellschaftlichen Entwicklung sind und
nicht isoliert von dieser beobachtet werden können.
Gewalt
und Macht
Will
man physische Gewalt definieren, so legt die soziologische und
philosophische Literatur nahe, diese Definition mit Rückgriff auf den
Begriff der Macht vorzunehmen. Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann[2]
versteht Macht nicht nur als ein Mittel, das jemand einsetzen kann, um bei
einer andern Person gegen deren Willen bestimmte Handlungen zu bewirken.
Er konzipiert Macht nicht vom Menschen, sondern von der Kommunikation her,
indem er sie als Medium definiert, welches die Wahrscheinlichkeit der
Annahme einer Kommunikation erhöhen soll. Macht wird aus dieser
Perspektive also nicht ausschliesslich an den Machthaber gebunden;
vielmehr kann von Macht erst die Rede sein, wenn der Machtunterworfene
Kommunikation als machtvolle Kommunikation wahrnimmt und entsprechend
reagiert. Physische
Gewalt wird von Luhmann als „symbiotischer Mechanismus“ von Macht
verstanden. Gewalt fungiert nach diesem Modell wie ein letzter Bezugspunkt
von Macht; sie ist das ultimative Sanktionsmittel, wenn die Symbolik der
Macht nicht wirkt, wenn der „Machtunterworfene“ nicht handelt, wie man
ihm befiehlt. Hier kommt ein paradoxer Aspekt der Beziehung von Macht und Gewalt zum Ausdruck: Der Einsatz von physischer Gewalt weist einerseits auf Machtlosigkeit hin, da die Symbolkraft der Macht nicht ausgereicht hat, um die erwünschten Handlungen zu bewirken oder unerwünschte zu vermeiden. Andererseits verstärkt physische Gewalt die Symbolik der Macht, da sich diese – explizit oder implizit – auf die erfolgte Gewalt beziehen und im Falle von ausbleibender Machtunterwerfung weitere Gewaltakte in Aussicht stellen kann. Dieser Verstärkungseffekt verliert sich jedoch, wenn die Gewalt immer wieder eingesetzt werden muss, um die gewünschten Handlungen zu erreichen.
Kommunikative
Aspekte von Terrorismus ...
Je
nach Perspektive hat der Einsatz von physischer Gewalt also immer
gleichzeitig Aspekte von Machtlosigkeit und Machtfülle, von Ohnmacht und
Potenz an sich. Dies deutet darauf hin, dass Gewalt in der Regel nicht
ausschliesslich als blindwütiges
Zerstören oder bedingungsloses Durchsetzen von sozialen Regeln auftritt.
Vielmehr umfasst sie – freilich sprachlos – auch kommunikative
Aspekte. Diese kommunikative Komponente der Gewalt zeigt sich etwa an den
Zielen, welche bei den Terrorattacken von September ins Visier genommen
wurden. Das World Trade Center, das Pentagon und das Weisse Haus wurden
offensichtlich nicht (nur) gewählt, weil sie sich besonders gut dafür
eigneten, möglichst viele Menschen zu töten, sondern weil sie aus Sicht
der Terroristen Symbole der westlichen Welt darstellen. Die
Anschläge waren demnach nicht nur Akte von kaum vorstellbarer physischer
Zerstörung, sondern auch Akte der Kommunikation. Sie symbolisierten den
Kampf gegen die gegenwärtige Wirtschaftsordnung, gegen die politische und
militärische Macht, welche diese Ordnung stützt, und sie symbolisierten
die eigene Macht resp. die Machtlosigkeit der Amerikaner. Auf der andern
Seite kommt bei den Anschlägen auch Ohnmacht und Verzweiflung zum
Ausdruck: Das Erreichen einer – aus der Sicht der Terroristen –
besseren Welt, scheint nur noch durch physische Zerstörung möglich –
Zerstörung, die sogar das eigene Leben einschliesst.
...
und von Jugendgewalt
Angesichts
der gewaltigen Zerstörung und Angst, welche die Terrorakte bewirken, mag
die Suche nach Parallelen bei der Jugendgewalt sonderbar anmuten. Und doch
wäre es zu einfach, Jugendgewalt ausschliesslich als Folge von persönlichen
Eigenheiten (Langeweile, Lust auf „action“) oder isolierten Einflüssen
(z.B. Gewaltdarstellungen in den Medien) zu interpretieren. Auch
Gewaltakte von Jugendlichen haben in der Regel kommunikative Aspekte.
Offensichtlich wird die kommunikative Symbolik von jugendlichen Gewalttätigkeiten
besonders dann, wenn diese organisationsähnlich auftreten – etwa in der
Form von Protestbewegungen oder extremen politischen Bewegungen wie jener
der Neonazis. In diesen Fällen erhalten – wie beim Terrorismus –
nicht nur die Handlungen, sondern auch die Ziele der Gewalt Symbolkraft:
die Fassaden der Banken, die Schaufenster der Konsumtempel, die Unterkünfte
der Asyl Suchenden. Doch
auch nicht organisierte, spontan erscheinende Gewaltakte von Jugendlichen
haben eine symbolische Komponente. Wenn Jugendliche einem Gleichaltrigen
mit gezücktem Messer seine Lederjacke abnehmen oder ein Mädchen belästigen
dann geht es nicht um die „geile Jacke“ oder darum, dass das Mädchen
die Anmache „ja selber will“, wie gerne vorgegeben wird. Diese Gründe
werden kommuniziert, um die Gewalt andern und vor allem sich selbst gegenüber
zu „plausibilisieren“, ihr einen Sinn zu geben. Eigentlich steht eine
andere Information hinter den Gewaltakten: In der Form von Faustschlägen,
Bedrohungen mit einer Waffe oder sexuellen Übergriffen wird den Opfern,
der Gesellschaft, sich selbst mitgeteilt: „Ich bin jemand. Ich habe
Macht über andere. Mit mir kann man nicht machen, was man will. Ich bin
der, der bestimmt, was läuft.“
Gründe
für die Entmächtigung
Wenn
wir davon ausgehen, dass es beim Terrorismus gegen die USA nur sehr beschränkt
um die Erlangung oder Sicherung von Ressourcen wie Bodenschätzen oder
Territorien geht, wie dies in einem „klassischen“ Krieg der Fall ist;
wenn wir weiter voraussetzen, dass dies bei der Jugendgewalt nicht anders
ist und dass es beim Erpressen einer Lederjacke genau so wenig um
materiellen Besitz geht, wie bei der Vergewaltigung um sexuelle
Befriedigung; wenn wir schliesslich vermuten, dass beide Gewaltformen
nicht nur die Funktion haben, Macht zu generieren, sondern auch – und
vor allem – Ausdruck von Machtlosigkeit sind, dann drängt sich die
Frage auf, welches die Gründe für die Ohnmacht sind, welche diese auf
den ersten Blick schwer verständlichen Gewaltakte bewirkt. Wenden
wir uns zur Beantwortung dieser Frage zuerst wieder jenem Terrorismus zu,
der sich auf die islamische Religion beruft, seine (Eigen-)Legitimation
aus ihr bezieht. Diese Ausprägung des Terrorismus ist für unsere Überlegungen
neben seiner Aktualität vor allem interessant weil er nicht regional
beschränkt ist, sondern global auftritt, quasi als terroristisches
Gegenstück zur wirtschaftlichen. Angesichts
der ungleichen Verteilung von Eigentum und Macht mag es kaum erstaunen,
dass es zu dieser relativ breit abgestützten, gut organisierten, mit
beachtlichen logistischen Mitteln ausgestatteten terroristischen Bewegung
gekommen ist: Wir leben bekanntlich in einer Welt, in der ein kleiner
Anteil der Bevölkerung einen Grossteil der bestehenden Ressourcen besitzt
resp. verbraucht. Das weit gehend unabhängig von Staatsgrenzen
operierende Wirtschaftssystem hat in den letzten Jahrhunderten Strukturen
herausgebildet, welche diese Besitzverhältnisse weiter polarisiert und räumlich
von lokalen und regionalen zu globalen Ungleichheiten erweitert haben. Das
politische System hat eine grosse Sensibilität für die Bedürfnisse der
Wirtschaft entwickelt, so dass die weltweite Verteilung der politischen
Entscheidungsmacht eine ähnliche Struktur aufweist wie die Verteilung von
ökonomischem Besitz und der Verbrauch von Ressourcen. Doch nicht nur die
ökonomischen Ressourcen und die politische Entscheidungsmacht sind
ungleich verteilt; auch die Herstellung von Öffentlichkeit durch die
Massenmedien wird weit gehend durch die Minderheit kontrolliert, die Geld
und Macht besitzt. Diese Medienmacht drückt sich einerseits durch ein
Schwergewicht in der Themensetzung (agenda setting) und in der Präsentation
der eigenen Meinungen zu strittigen Fragen aus; andererseits stärkt sie
den „Kulturimperialismus“, der auch durch die ökonomische Macht gefördert
wird. Schliesslich werden auch die Systeme der Medizin, der Bildung und
der Wissenschaft durch diese gesellschaftsweiten Ungleichheitsstrukturen
geprägt und reproduzieren diese.
Die
Differenz von Tradition und Moderne
Doch
nicht nur in Bezug auf die Besitz- und Machtverhältnisse gibt es
beachtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Weltregionen: Die immer
schneller fortschreitende Modernisierung (etwa auf technologischer Ebene)
verlangt auch bei uns Anpassungsleistungen, die nicht nur die einzelnen
Menschen, sondern auch die politischen Entscheidungsträger bisweilen überfordern.
Wenn der Zugang zu den Errungenschaften der Modernisierung einer kleinen
Minderheit vorbehalten und auf wenige urbane Zentren beschränkt ist, wie
dies in den weniger wohlhabenden Teilen unseres Planeten der Fall ist,
dann wird die Kluft zwischen traditionellen und modernen sozialen
Strukturen immens. Da die Religiosität in diesen Gebieten noch viel stärker
verankert und die im westlichen Kulturraum weit gehend etablierte Trennung
von Kirche und Staat nur ansatzweise vollzogen ist, profilieren sich
religiöse Organisationen damit, dass sie die Menschen bei der Überbrückung
dieser Kluft zwischen Tradition und Moderne unterstützen. Sie bieten
ihnen Sinnofferten zur Bewältigung ihrer schwierigen wirtschaftlichen und
politischen Situation an. Wie
wir wissen, sehen diese Sinnofferten unterschiedlich aus. Während
Religionen wie der Hinduismus und der Buddhismus andere Religionen mit
einer weit gehenden Toleranz behandeln und zudem das gegenwärtige Leiden
in einem grossen Mass mit einer besseren Zukunft (in einem kommenden
Leben) verbinden, ist der Islam – wie das Christentum – eine Religion
mit einer kämpferischen, bisweilen militärisch-imperialistischen
Geschichte. Der Islam nimmt die weltweite Ungleichheit nur teilweise als
schicksalshaft oder gottgewollt gegeben hin, sondern wehrt sich gegen die
Exponenten, denen er die Verantwortung für den gegenwärtigen Zustand
zuschreibt. Das sind auf religiöser Ebene die „Ungläubigen“ und auf
politischer Ebene die westlichen Staaten, allen voran die USA.
Die
kommunikative Abwertung der Gegenseite
Neben
der ungleichen Macht- und Ressourcenverteilung in fast allen relevanten
Gesellschaftsbereichen kann man weitere Gründe für die terroristische
Gewalt der letzten Wochen vermuten. Einer davon ist die konsequente
Geringschätzung der ökonomischen, wissenschaftlichen, politischen, künstlerischen
Errungenschaften anderer Kulturen durch die wohlhabenden und mächtigen
Industrienationen. Diese Geringschätzung geht einher mit einer weit
gehend kritiklosen Belobigung der eigenen Kultur. Diese Belobigung
impliziert in der Regel, dass der Wohlstand und die kulturellen
Errungenschaften wie die Demokratie, die freie Marktwirtschaft, die
Pressefreiheit, die Menschenrechte etc. ausschliesslich ein Resultat der
eigenen Leistungsfähigkeit, ein Resultat von Fleiss und Rechtschaffenheit
seien. Machtpolitische und ökonomische Faktoren wie der Kolonialismus
oder die Rolle der westlich dominierten Welthandelsorganisationen werden
dabei genau so konsequent ausgeblendet wie der Umstand, dass viele der
sozialen „Missstände“ in andern Teilen der Erde noch vor wenigen
hundert Jahren auch bei uns gang und gäbe waren. Auf
diese Weise wird ein Bild konstruiert und über die Massenmedien
verbreitet, welches die eigene Kultur als die einzig richtige,
erfolgreiche und erstrebenswerte und alles andere als rückständig,
kritikwürdig oder gar gefährlich darstellt. Dieses Bild prägt das
Denken und Handeln in den westlichen Nationen und es verstärkt das Gefühl
der Machtlosigkeit und Frustration im Rest der Welt.
Die
Lage der Jugendlichen
Vergleicht
man allfällige Gründe für die Jugendgewalt in der westlichen Welt mit
jenen für das Aufkommen eines globalen Terrorismus, so fallen einige
Parallelen auf. Zwar ist die wirtschaftliche Situation der Jugendlichen in
unserem Kulturkreis nicht mit jener der so genannten Entwicklungsländer
zu vergleichen. Andererseits kann die ökonomische Komponente auch bei der
Beobachtung der Jugendgewalt nicht ausser Acht gelassen werden – zu
gross ist die Bedeutung, die den Symbolen ökonomischer Potenz in unserer
Gesellschaft im allgemeinen und in Jugendgruppen im besonderen gewidmet
wird. Da kann es schon frustrierend sein, wenn man sich gewisse
Bekleidungsstücke, Haarstile oder Trendartikel nicht leisten kann und
deswegen als „uncool“ oder als „looser“ degradiert wird, wenn also
die ökonomischen Unterschiede Einfluss auf das Gesamtbild einer Person
haben. Sicher
gibt es andere und gewichtigere Gründe, die zu einer Zunahme der
Gewaltanwendung von Jugendlichen führen können. Einer davon ist – und
hier zeichnet sich eine deutliche Parallele zur Behandlung anderer
Kulturen ab – die geringe Achtung von Kindern und Jugendlichen. Obwohl
Jugendlichkeit in der modernen westlichen Gesellschaft ein zentraler Wert
ist, werden Kinder und Jugendliche zumindest im deutschsprachigen Europa
gerne als Störfaktoren und kaum als vollwertige Menschen wahrgenommen. So
willkommen Jugendliche als Konsumenten sind, so unwillkommen ist insgesamt
ihre Teilhabe in andern Gesellschaftsbereichen. Diese generelle
Respektlosigkeit Kindern und Jugendlichen gegenüber lässt sich im Alltag
immer wieder beobachten. Sie äussert sich gerne in einem Machtgehabe, das
sich alleine auf Altersunterschiede abstützt. So werden z.B. von
Jugendlichen besetzte Sitze in der Strassenbahn von Erwachsenen nicht nur
beansprucht, weil sie sehr alt, körperlich behindert oder hochschwanger
sind, sondern prinzipiell, etwa aus Gründen des „Anstandes“. Solche
und ähnliche Machtdemonstrationen, welche den Jugendlichen ihre
Machtlosigkeit vor Augen führen und, sind zumindest teilweise mit der
oben behandelten Differenz von Tradition und Moderne zu erklären. Werte
sind soziale Konstruktionen, die sich im Laufe der Zeit genau so verändern,
wie sich ihre Beobachtung durch die Individuen verändert. Der Wert
„Respekt vor dem Alter“ heisst heute nicht mehr dasselbe wie vor 50
Jahren. Jugendliche sind heute weniger bereit, andere Menschen allein
wegen ihres Alters oder ihres sozialen Status zu achten. Sie ordnen sich
der für sie nicht mehr nachvollziehbaren grundsätzlichen Hierarchie von
Erwachsenen und Jugendlichen nicht einfach unter, sondern erwarten
ebenfalls Respekt und Wertschätzung. Erfahren sie diese nicht, reagieren
sie nicht selten mit der gleichen Missachtung und Respektlosigkeit, die
ihnen zuteil wird.
Veränderungen
in der Lebenswelt der Jugendlichen
Die
Differenz von Tradition und Moderne entfaltet sich aber auch in anderen
Bereichen, welche Jugendliche ganz grundsätzlich betreffen, etwa in der
Familie und der Bildung. Die Familienstrukturen haben sich in den letzten
Jahrzehnten fundamental geändert. Einelternfamilien sind heute keine
Ausnahme mehr, und in so genannten Normfamilien arbeiten oft beide
Elternteile ausser Haus. Der zunehmende Wunsch nach ausserhäuslicher
Erwerbsarbeit bei den Frauen spielt dabei genau so eine Rolle wie die
fehlende Bereitschaft und Gelegenheit der Männer, das Erwerbspensum
zugunsten der Familienarbeit einzuschränken. Angesichts der tiefen
Einkommen in gewissen Branchen wie dem Detailhandel sind viele Eltern
zudem gar nicht in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und die Kinder
mit nur einem Erwerbseinkommen zu bestreiten. Die Veränderung der
Familienstrukturen verändert die Sozialisationsbedingungen der
Jugendlichen grundsätzlich. Sie verbringen mehr Zeit mit Medienkonsum und
die Jugendgruppe gewinnt als Orientierungspunkt für die eigene
Entwicklung immer mehr an Bedeutung. Wenn
angesichts dieser gesellschaftlichen Veränderungen der Ruf nach mehr
gesteuerter Sozialisation, also nach Erziehung, laut wird, und es um die
Frage geht, wo diese Erziehung geleistet werden soll, dann wird in der
Regel zuerst die Schule genannt. Doch auch die Schule kann sich dem
gesellschaftlichen Wandel nicht entziehen. Das in der Gesellschaft verfügbare
Wissen nimmt stetig zu und erfordert auch auf Schulebene
Anpassungsleistungen, was sich in der Zunahme des behandelten Stoffes und
in neuen Fächern niederschlägt. All das erfordert Zeit – Zeit, die
nicht mehr für die geforderte Erziehungsleistung der Schule eingesetzt
werden kann. Dazu kommt, dass eine breite Diskussion über die Funktion
der Schule in unserem Kulturkreis bis heute nicht wirklich stattgefunden
hat. Es besteht zwar Einigkeit darüber, dass die Schule nicht nur die
Vorbereitung und die Vorselektion der Schüler in Hinblick auf ihren
Eintritt ins Erwerbsleben hat, doch die zeitlichen und finanziellen
Ressourcen zur Erfüllung ihrer Sozialisations- resp. Erziehungsfunktion
werden ihr auch nicht gewährt.
Ausschlusstendenzen
Die
Folge dieser Entwicklung ist, dass sich die Schule mit teilweise widersprüchlichen
Forderungen aus Wirtschaft, Politik und Familie konfrontiert sieht. Da sie
diese Forderungen nicht erfüllen kann, gibt sie den Druck weiter – an
die Eltern und vor allem: an die schwächeren und „sozial auffälligen“
Schüler. Das Resultat dieser Überforderung sind Schuldzuweisungen auf
allen Seiten – von den Lehrkräften an die Eltern, von den Eltern an die
Lehrkräfte, von der Schule an die Politik, von der Wirtschaft an die
Schule und von allen an die Kinder und Jugendlichen. Für diese werden
Sonderklassen, Kleinklassen, heilpädagogische Begleitungen, Therapien
aller Art, medikamentöse Unterstützung (Ritalin) angeboten oder
Sanktionsmassnahmen wie Klassenversetzungen oder gar Schulausschlüsse
verfügt. Alle diese Massnahmen – so begrüssenwert sie teilweise auch
sind – haben gemeinsam, dass sie nicht integrierend, sondern
ausschliessend wirken. Unter dem ständig steigenden Druck von allen
Seiten werden immer mehr Kinder und Jugendliche zu Sonderfällen, da die
Schule ohne ihre Aussonderung nicht mehr funktionieren würde. Für immer
mehr betroffene Schüler und Schülerinnen heisst das, dass sie anders
sind als die andern, dass sie nicht genügen – jetzt nicht und
vielleicht auch im späteren Leben nicht. Zusammen
mit der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt (Stichwort Rationalisierung) und
den entsprechenden täglichen Schreckensmeldungen wird es für die
Jugendlichen immer schwieriger, hoffnungsvolle Lebensperspektiven zu
entwickeln. Viele kompensieren das, indem sie sich auf die Gegenwart
konzentrieren und auf die Genussmöglichkeiten, welche diese bietet.
Andere wiederum lassen sich stark verunsichern und „behandeln“ diese
Unsicherheit mit Suchtmitteln oder versuchen, Selbstsicherheit und
Fremdachtung durch Risikoverhalten zu gewinnen. Im Grunde genommen geht es
wieder um Machtlosigkeit, um die Unfähigkeit, sein Leben unter den
gegebenen Bedingungen und gegen den Widerstand hinderlicher Strukturen
selbständig in eine gewünschte Richtung zu lenken. Und wieder – wie
beim Terrorismus – scheint diese Machtlosigkeit auch gewalttätiges
Verhalten zu begünstigen – Verhalten, das die Funktion hat, wenigstens
eine Illusion von Macht zu erzeugen.
Schuldkonstruktionen
Fasst
man die bisherigen Ausführungen zusammen, so stehen wir vor der
Situation, dass die Entwicklung der modernen Gesellschaft Ungleichheiten
erzeugt – Ungleichheiten, welche die individuellen Lebensperspektiven
grundsätzlich beeinflussen und zu einem Gefühl der Machtlosigkeit führen
können, die sich in Gewaltakten manifestiert. Nicht dass dies ein
neuartiges Phänomen wäre. Keine Gesellschaftsform war je in der Lage,
das immer wieder propagierte Ideal der Gleichheit auch nur in Ansätzen zu
verwirklichen. Aus diesem Grund gab es auch immer Privilegierte und
Unterprivilegierte und mehr oder weniger zielgerichtete Gewaltakte, um
diese Differenz aufzuheben oder besser: sie umzukehren, also in eine
andere Differenz zu überführen. An
dieser Stelle bietet es sich an, eine gängige Illusion anzusprechen. Sie
betrifft die Vorstellung, für die oben beschriebenen, Gewalt begünstigenden
Zustände könnten klare Verantwortlichkeiten zugeschrieben werden. Die
Gesellschaft ist viel zu komplex, als dass behauptet werden könnte, ein
Funktionssystem, eine Organisation, eine Gruppierung oder gar eine Person
sei allein für eine negativ bewertete Entwicklung verantwortlich. Natürlich
werden solche Zuschreibungen immer wieder gemacht: Autofahrer oder Grüne,
Kapitalisten oder Kommunisten, Liberale oder Konservative, Christen oder
Muslime werden dann für bestimmte unerwünschte Zustände auf der Welt
verantwortlich gemacht, wobei offensichtlich ist, dass es sich bei diesen
Zuschreibungen immer um Konstruktionen handelt, die je nach Perspektive
anders ausfallen.
Die
Gesellschaft als grosses Orchester
Das
Zusammenspiel gesellschaftlicher Kommunikationen kann metaphorisch als
immenses Orchester dargestellt werden. Dieses Orchester setzt sich aus unzähligen
Instrumenten zusammen, welche – alleine oder in Instrumentenverbünden
– zahllose Melodien spielen, die sich in einem gewaltigen Rauschen
vereinen und die weder durch einen Dirigenten noch durch einzelne
Unterorchester zu einem harmonischen Klangbild vereint werden können. Der
hörende Beobachter hat keine andere Möglichkeit, als sich auf ausgewählte
Instrumente zu konzentrieren und deren Spiel zu verfolgen. Dabei kann er
gewisse Melodien heraushören, Beeinflussungen von Instrumenten auf andere
ausmachen, doch niemand gibt ihm die Gewissheit, dass andere das Gleiche hören
und die gleichen Interdependenzen erkennen. Wenn
für die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten auf dieser Welt – die
Misstöne im gesellschaftlichen Orchester also – Schuldige gesucht und
bezeichnet werden, so muss man sich bewusst sein, dass diese Zuordnung
immer selektiv geschieht und nie alle Einflussfaktoren umschliesst. Dazu
kommt, dass ein anderer Beobachter, die Töne, die der erste als
Dissonanzen hört, aus seiner Perspektive durchaus aus als klangvoll und
nicht störend empfinden kann. Genau
so wie man auf die Vorstellung verzichten muss, man könne eindeutige
Verantwortlichkeiten für Misstöne resp. Missstände zuordnen, so muss
man von der
Illusion Abschied nehmen, es gäbe einen übermächtigen (man könnte
sagen: göttlichen) Dirigenten, der das gesamte Gesellschaftsorchester überblickt,
richtige und falsche Töne unterscheiden kann und jedes einzelne
Instrument unter seiner Kontrolle hat. Auch die Systeme der Politik oder
der Wirtschaft, denen diese Funktion (je nach Credo) gerne zugeschrieben
wird, können die Aufgabe als zentrale Steuerungsinstanz nicht übernehmen;
auch sie sind selber nur Teil des unsteuerbaren Orchesters der
Gesellschaft, spielen eigene Melodien mit eigenen Instrumenten und werden
von den andern Musizierenden beeinflusst.
Gesellschaft
als evolutionärer Prozess
Wenn
man diese Überlegungen konsequent weiterverfolgt, liegt der Schluss nahe,
dass nicht nur eine zentrale Steuerung der Gesellschaft unmöglich ist,
sondern eigentlich jeder kausale Eingriff. Jede Intervention – jede neue
Melodie – wird im Orchester der Gesellschaft beobachtet und führt zu
Anpassungsleistungen. Instrumente werden ausgewechselt, die Lautstärke
wird verändert, Melodien umgeschrieben – kurz: das ganze Orchester
befindet sich in einem laufenden gegenseitigen Beobachtungs- und
Anpassungsprozess. Dabei folgt jeder Musiker, jedes Unterorchester seinen
selbst definierten Zielen und versucht, die Rolle zu erfüllen, die es aus
seiner Sicht im Orchester einnimmt. Die Entwicklung des Orchesters beruht
daher nicht auf göttlicher Vorsehung oder natürlichen Vorgaben, sie
beruht auch nicht auf Vernunft oder Rationalität, ja sie hat nicht einmal
ein Ziel. Die Gesellschaft ist nichts als die Summe aller Kommunikationen,
aller Melodien und ihr Entwicklungsprinzip ist das Prinzip der Evolution:
Auf jeder Ebene setzen sich die Kommunikationen durch, die sich bewähren,
und sie setzen sich so lange durch, solange sie sich bewähren. Geht
man vom evolutionären Prinzip aller sozialen Entwicklung aus, muss man
sich zwar nicht mit fatalistischer Ergebenheit darin fügen, dass ohnehin
alles durch Gott oder die Natur vorbestimmt ist; man kann sich aber auch
nicht auf eine übergeordnete Vernunft oder Rationalität verlassen, die
dem Orchester der Gesellschaft zu einer harmonischen Klangfülle verhilft.
Jeder noch so kleine Teil des Orchester musiziert nach seiner eigenen
Rationalität und hat seine eigenen Vorstellungen von Harmonie. Das
Prinzip der Evolution verheisst nichts anderes, als dass jeder Musiker,
jedes Unterorchester, jede Melodie, jeder Ton Einfluss auf die Entwicklung
des Gesamtorchesters nimmt und doch keiner dieser Einflussfaktoren für
sich in Anspruch nehmen könnte, das Orchester oder einzelne Akteure
alleine zu steuern.
Beschränkte
Einflussmöglichkeiten
Für
die folgenden Ausführungen zu möglichen Massnahmen gegen Terrorismus und
Jugendgewalt gilt also die paradox anmutende Ausgangslage, dass
Interventionen für die gesellschaftliche Entwicklung gleichzeitig
bedeutend und bedeutungslos sind. Das heisst zum einen, dass sich die
Melodien der anderen (in unserem Fall: die Gewalt) einfacher Gehör
verschaffen können, wenn man selbst nicht mitmusiziert, wenn man auf
Interventionen verzichtet. Zum andern darf man – auch wenn man ein noch
so gewaltiges Unterorchester (wie z.B. eine Armee) zusammenstellt –
nicht darauf vertrauen, dass das eigene Spiel die gewünschte Entwicklung
bewirken wird, denn jeder neue Einsatz, jede neue Melodie, jede
Intervention wird von den Systemen beobachtet, die sich durch eine
Intervention irritieren lassen, und führt zu Anpassungen ihres Spiels,
ihrer Kommunikationen und Handlungen. Dieser Voraussetzung können sich
Interventionsversuche nie entziehen – nicht die politischen, nicht die
ökonomischen und selbstverständlich auch nicht jene der Sozialen Arbeit
und der Prävention. Da
nicht mit Bestimmtheit vorausgesehen werden kann, ob es Reaktionen auf die
eigenen Interventionsversuche gibt und wie diese ausfallen, sind
Intervention auch nur sehr beschränkt planbar. Sie erfordern eine
laufende Beobachtung ihrer Ergebnisse und regelmässige Anpassungen, ohne
dass je mit dem Erreichen eines dauerhaften „Idealzustandes“ oder
eines Gleichgewichtes gerechnet werden kann. Diese
Überlegungen legen nahe, in Bezug auf das Wirkungspotenzial der eigenen
Interventionen bescheidene Erwartungen zu hegen. „Lösungen“ für
bestehende Probleme gibt es angesichts dieser instabilen Verhältnisse
keine; es gibt immer nur Lösungsversuche, die durch Problemverlagerungen
resp. neue Probleme und neue Bewältigungsversuche abgelöst werden.
Behandlung
der Ursachen
Wenn
man sich die Frage nach möglichen Massnahmen gegen Terrorismus und
Jugendgewalt stellt, so wird man sich schnell bewusst, dass es betreffende
Interventionsversuche genau so lange gibt, wie die beiden Probleme
manifest sind, d.h. in der Öffentlichkeit und vor allem in den
Massenmedien als Probleme beobachtet werden. Da dies bei beiden Phänomenen
schon seit Jahrzehnten der Fall ist, gibt bereits eine riesige Palette von
Interventionsversuchen gegen Terrorismus und Jugendgewalt. Sieht man sich
diese Interventionsversuche genauer an, so wird man auf der Ebene der
konkreten Massnahmen kaum Gemeinsamkeiten bemerken – zu unterschiedlich
sind die beiden Phänomene in ihren praktischen Auswirkungen. Auf
einer übergeordneten Ebene lassen sich jedoch durchaus Parallelen
feststellen. So fällt auf, dass bei beiden Problemen repressive –
polizeiliche, militärische und juristische – Interventionsversuche
dominieren. Das ist aus mindestens zwei Gründen verständlich: Erstens
werden durch die Gewaltakte von Terroristen und Jugendlichen Menschen gefährdet,
die geschützt werden müssen, und zweitens erbringt ein Rückgriff auf
den symbiotischen Mechanismus der physischen Gewalt – das Wegsperren,
das Zerstören und das Töten – ein konkretes Resultat, welches die
Illusion unterstützt, dass man das gesamte Gewaltproblem mit Gegengewalt
in den Griff bekommen könne. Die Vermittlung dieser Illusion selbst ist
auch wieder ein kommunikativer Prozess, der unter anderem die Funktion
hat, Unterstützung für die eigenen Massnahmen zu gewinnen. Im
Bereich des internationalen Terrorismus scheint sich seit den Anschlägen
in den USA im politischen System jedoch (wenn auch nur ansatzweise) die
Erkenntnis durchzusetzen, dass es mit dem Problemlösungsversuch
„Repression“ allein nicht getan ist, ja dass dieser Problemlösungsversuch
selbst zu einem Problem werden kann, wenn er nicht durch ergänzende
Massnahmen begleitet wird. Im Bereich der Jugendgewalt hat sich diese
Erkenntnis durch den Einfluss von Disziplinen wie der
Entwicklungspsychologie oder der Pädagogik schon länger Raum verschafft,
wenn auch nicht sehr viel. Aber
nicht nur die repressiven, auch die begleitenden Massnahmen zur Bewältigung
der Phänomene Terrorismus und Jugendgewalt lassen sich in Hinsicht auf
die grundsätzlichen Überlegungen vergleichen, auf denen sie begründet
sind. Im Anschluss an die bisherigen Ausführungen können diese
Prinzipien mit Begriffen wie „Ermächtigung“, „Integration“ oder
„Achtung“ umschrieben werden. Die These hier ist, dass beide Probleme
nur entschärft werden können, wenn repressive Massnahmen durch solche
ergänzt werden, welche die Ursachen dieser Phänomene – die
Machtlosigkeit, die Ausgrenzung und die Geringschätzung – behandeln,
also im eigentlichen Sinn präventiv wirken.
Widerstände
Konkretisiert
man diese Überlegungen, so scheint es in Bezug auf den Terrorismus
unabdingbar, dass die benachteiligten Regionen dieser Welt nachhaltiger in
die gesellschaftlichen Funktionssysteme eingebunden werden –
insbesondere (aber nicht nur) in die Systeme der Wirtschaft und der
Politik. Man weiss, wie schwierig das ist und welche Konsequenzen das für
die wohlhabenden Regionen haben kann. Aber nur mit dieser Einbindung, kann
sich eine demokratische Staatsform etablieren und die Beachtung der
Menschenrechte zunehmen; nur mit dieser Einbindung wird sich zudem die
gegenseitige Wertschätzung der Kulturen verbessern. Weil
Massnahmen im Bereich Jugendgewalt kleinräumiger konzipiert werden können
als beim Terrorismus, kann hier ein wenig konkreter formuliert werden, wie
die Ermächtigung, Integration und Achtung verbessert werden könnte.
Andererseits sieht man sich in diesem Bereich mit der Paradoxie
konfrontiert, dass Jugendliche in der Pubertät zwar Integration und
Anerkennung benötigen, sich gleichzeitig aber auch abgrenzen wollen und
dafür Raum brauchen. Angesichts der Komplexität des Unterfangens darf
man sich auch hier keine Illusionen über das Verhältnis von Aufwand und
Ertrag machen. Schnelle „Lösungen“ gibt es wie beim Terrorismus
keine, so sehr sich die Politik und die Öffentlichkeit das auch wünschen
mag. Grundsätzlich lässt sich – wieder für beide Phänomene – der
Gedanke formulieren, dass tief greifende Massnahmen mehr Erfolg
versprechen als oberflächliche, dass sie aber auch mit weit mehr Widerständen
zu rechnen haben. Ein Interventionsversuch in ein soziales System wie eine
Gemeinde oder eine Schule kann nur erfolgreich sein, wenn das System zum
Zeitpunkt des Versuches bereit ist, sich davon irritieren zu lassen. Ist
dies nicht der Fall, so wird der Versuch an systeminternen Widerständen
scheitern. Die Gefahr, dass er dies tut, steigt mit der Komplexität des
Systems und mit dem Umfang der angestrebten Veränderung. In dieser
Hinsicht ist es oft ratsamer, zuerst kleine Interventionsversuche zu
planen und diese so gut wie möglich miteinander zu koordinieren und zu
vernetzen.
Zusammenspiel
von repressiven und unterstützenden Massnahmen
Schliesslich
gibt es eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Interventionsbereichen
Jugendgewalt und Terrorismus: bei beiden kann nicht auf den Einsatz
repressiver Mittel verzichtet werden. Vor allem – aber nicht nur – in
der Behandlung und Prävention von Jugendgewalt kann viel gewonnen werden,
wenn die polizeilichen und gerichtlichen Interventionen gut mit den
sozialarbeiterischen, pädagogischen, soziokulturellen und anderen stützenden
Massnahmen vernetzt werden. Das kann zu Synergien, zu einer
wechselseitigen Ergänzung und Aufwertung führen. Aus Gründen der
Transparenz und der Erwartbarkeit sollte jedoch darauf geachtet werden,
dass die unterschiedlichen Rollen nicht vermischt werden. Will
man hochkomplexe Phänomene wie Terrorismus und Jugendgewalt auch nur annähernd
„in den Griff“ bekommen, so erfordert dies von allen Beteiligten viel
Ausdauer, langfristiges Denken, die Bereitschaft zum Treffen von unpopulären
Entscheidungen, ein grosses Mass an Vernetzungs- und
Koordinationskompetenz. Diese Fähigkeiten sind nicht überall ausreichend
ausgebildet und angesichts der Kurzfristigkeit politischer Ämter und dem
Wettbewerb auf dem Markt „sozialer“ Angebote nicht selbstverständlich.
Das wiederum ist kein Grund, die entsprechenden Bemühungen nicht an die
Hand zu nehmen und zu versuchen, das Unwahrscheinliche wahrscheinlicher zu
machen.
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