Skript eines Vortrags, gehalten an: "Soft society : eine internationale Konferenz über die kommende Informationsgesellschaft", 28.10.-3.11.96 in Berlin, organisiert durch den Arbeitskreis Informationsgesellschaft der Humboldt-Universität und der Japan Society for Future Research, Tokio.

 

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Anmerkung: Dieser Text war lange über die Homepage des Berliner Luhmannkreises auf der Seite http://www2.rz.hu-berlin.de/inside/aesthetics/luhmantx.htm zugänglich. Nach der Einstellung dieser Seite wurde die Datei des Luhmann-Vortrages am 17.12.2000 über die Luhmann-Liste verteilt. Die nachstehende Version entspricht dieser Datei.

 

Niklas Luhmann

 

Entscheidungen in der "Informationsgesellschaft"

 

I.

Die Beschreibungen der modernen Gesellschaft, die heute im Angebot sind, bemühen sich nicht mehr um eine theoretische Ausarbeitung. Sie heben einzelne Phänomene hervor, die sie für besonders bemerkenswert halten, und belassen es dabei. Schon "kapitalistische Gesellschaft" war ein Begriff gewesen, der durch die eigentlich zuständigen Wirtschaftswissenschaften nicht gedeckt war und lediglich eine sozialgeschichtliche Epochenbeschreibung, eine Erzählung gleichsam, vorschlug. Für "Risikogesellschaft" oder für "Erlebnisgesellschaft" ist dieser Mangel an theoretischer Analyse noch offensichtlicher. Nichts anderes gilt für "Informationsgesellschaft". Typisch beruft man sich darauf, daß immer mehr Arbeits- und Freizeit auf die Produktion und den Konsum von Information verwendet wird. Zwar unterscheidet man Dinge und Wissen bzw. Informationen so wie Dinge und Symbole, aber beide Seiten dieser Unterscheidung werden als "commodities" aufgefaßt, also als Gegenstände, die sich nicht ständig auflösen und neu formiert werden müssen, wenn sie von Hand zu Hand wandern. So spricht man zum Beispiel von einem Gedächtnis, das Informationen aufbewahren und bei Bedarf wieder zugänglich machen kann. Wenn dies gemeint ist, sollte man aber besser von Wissensgesellschaft oder von wissensbasierter Gesellschaft sprechen. Denn Information ist keine stabile, transportable, aufbewahrbare Entität, sondern ein Ereignis, das mit seiner Aktualisierung seinen Charakter als Information verliert. Man muß also Information und (übertragbares) Wissen unterscheiden — und dies, obwohl Information Wissen erzeugt. Das Interesse an Information lebt vom Reiz der Überraschung. Sie ist die Differenz zwischen dem, was der Fall sein könnte, und dem, was sich ereignet oder mitgeteilt wird. Als Differenz hat sie weder Dimensionen, auf denen sie variieren könnte, noch einen Ort, an dem sie zu finden wäre. Man kann nur das System bezeichnen, das sich mit ihr beschäftigt.

Damit ist keineswegs bestritten, daß Informationen Effekte haben können. Im Gegenteil: es sind gerade Differenzen (und nicht etwa "Kräfte"), auf die man Wirkungen zurechnen muß. Als in der Schweiz 1982 die Arbeitslosigkeit bis zu 0,3 bis 0,4 % anstieg, alarmierte das die Massenmedien und die Politik. Der spätere konstante Satz von 1 % hatte keinen vergleichbaren Effekt. Und Informationen sind das Vehikel, das eine Differenz in eine andere transformiert und in diesem Sinne kausal wirkt.

Auch für diesen auf "Ereignis" und "Differenz" gestützten Begriff der Information gibt es Tatbestände, auf die man hinweisen kann, wenn man den üblichen Sprachgebrauch rechtfertigen will. Die Massenmedien überschütten uns jeden Tag mit neuen Informationen, ohne daß es Adressaten gäbe, die sich diese Informationen in ihrer immensen Vielfalt und Detailliertheit zu Nutze machen könnten. Auch die Computer speichern und verarbeiten, wie man sagt, Informationen: aber ihre Schaltzustände sind und bleiben unsichtbar, und man muß schon wissen, was man wissen will, um ihnen Schrift, Tabelle, Bild oder Sprache zu entlocken. Vor allem aber gibt es in der Gesellschaft noch viel anderes, was auffallen könnte — man denke an zunehmende Neigung zur Gewalt, an riesige, von Information und fast allen anderen Segnungen der Zivilisation ausgeschlossene Bevölkerungsmengen, an offensichtliche Diskrepanzen in den Beziehungen zwischen den wichtigsten Funktionssysteme, an die Angewiesenheit auf Energie, deren langfristige Reproduzierbarkeit fraglich ist, an ökologische Probleme und an vieles andere. Warum fällt uns dann gerade das mit "Informationsgesellschaft" bezeichnete Syndrom auf?

Der Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen ist, daß Information ein Begriff mit zwei Seiten ist und daß darauf ihre Funktion als Attractor für Aufmerksamkeit beruht. Wie einst das Heilige hat die Information eine segensreiche und eine erschreckende Seite. Sie hilft — und sie beunruhigt. Wir fragen nach Information, wenn wir Unwissenheit beheben, wenn wir unseren Weg finden wollen. Wir hoffen, besser entscheiden zu können, wenn wir über mehr Information verfügen. In diesem Sinne waren Informationsgesellschaften vor allem die, die über ausgefeilte Divinationstechniken verfügten — also das alte China oder Mesopotamien. Aber auch damals hatte Information schon eine zweite, eine dunkle Seite: Das Absuchen der Lineaturen auf den Oberflächen der Welt auf Zeichen hin bestätigte und reproduzierte zugleich das Verborgene. Und bestätigte die Weisen in Amt und Funktion. Da man Information schnell benötigt, kann es nicht darauf ankommen, ob sie zutrifft. Sie muß nur plausibel sein. Sie muß sich dazu eignen, Sinn kristallisieren zu lassen. Amerikaner würden mit einem Neologismus von "sensemaking" sprechen. Sie muß es ermöglichen, Operationen fortzusetzen und damit die Ambivalenz von Wissen und Nichtwissen in nächste Situationen zu übertragen.

Diese Ambivalenz hat heute ihre religiösen Konnotationen verloren. Sie läßt sich aber am Begriff der Information nachweisen. Denn einerseits klärt die Information etwas, sie transformiert Nichtwissen in Wissen. Aber andererseits geschieht dies in der Form einer Überraschung, einer Auswahl aus anderen Möglichkeiten. Die Bestimmtheitsgewinne ergeben sich nur in einem Horizont anderer Möglichkeiten. Was immer Gegenstand von Information werden kann, wird damit zugleich als kontingent markiert. (Es wird angesagt, der Zug habe zwanzig Minuten Verspätung. Also kann man noch eine Tasse Kaffee trinken. Aber wenn er nun doch früher käme?) Information ist demnach eine paradoxe Kommunikation. Sie reproduziert Sicherheit und Unsicherheit.

Außerdem verliert die Information, sobald sie informiert hat, ihre Qualität als Information. Ihr Sinn kann wiederholt werden, nicht aber ihr Charakter als Überraschung. Nach einer Information kann es nur andere, neue Informationen geben. (Inzwischen sind es dreißig Minuten Verspätung.) Das Grundmuster der Ambivalenz nimmt von Moment zu Moment neue Formen an, aber die Ambivalenz bleibt dieselbe. Ist vielleicht das gemeint, wenn von "Informationsgesellschaft" gesprochen wird?

Will man diesen Zeitbezug der Information berücksichtigen, sprengt das wichtige Prämissen der klassischen "repräsentationalen" Kognitionstheorie. Diese war davon ausgegangen, daß auch Ereignisse, zum Beispiel ein Autounfall, im Bewußtsein und in der Kommunikation zeitlos repräsentiert werden können. Man kann sich an sie erinnern, über sie kommunizieren und muß sie nur zeitlich lokalisieren, um ihren Ereignischarakter repräsentieren zu können. Selbst über den Schreck kann man noch reden. Damit ist auch die Welt der Ereignisse (also auch: der Entscheidungen) in ontologisch greifbarer Form gegeben. Erst seit kurzem wird diese repräsentationale Erkenntnistheorie einer grundsätzlichen Kritik unterworfen. Wir können das hier nicht mit der gebotenen Ausführlichkeit prüfen. Jedenfalls gibt es am Schreck, oder allgemeiner: an der Information, nicht repräsentierbare Momente, die an den Zeitpunkt gebunden bleiben, in dem sie aktuell auftreten und mit ihm verschwinden. Anders gesagt: die Information versetzt das kognitive System selbst in Bewegung und kann folglich nicht zeitfest repräsentiert und auch nicht erinnert werden. Was bleiben kann, ist nur der Sinn der Information, auf den man wieder und wieder bezug nehmen kann.

Will man dieser Nichtfesthaltbarkeit der Information Rechnung tragen, erfordert das tiefe Einschnitte in unser Verständnis von Kognition. Aber auch sonst müßte man viele gewohnte Begriffe ändern, vor allem Begriffe im Einzugsbereich von "Rationalität". In einer Informationsgesellschaft kann man nicht mehr von rationalem sondern allenfalls noch von intelligentem Verhalten sprechen, denn es fehlen immer Informationen für ein Erreichen rationaler Entscheidungen. Vor allem aber muß der enge Zusammenhang der Begriffe Information und Entscheidung neu überdacht werden.

Einerseits sind Entscheidungen auf Informationen angewiesen, oder genauer: auf Umwandlung von Informationen in (wie immer zuverlässiges) Wissen. Andererseits sind Entscheidungen die wichtigste Quelle für den Bedarf an Informationen. Es gibt natürlich auch andere Wissenslücken, die man durch Information zu füllen sucht. Man muß nach dem Weg vom Bahnhof zum Hotel fragen. Im Falle von Entscheidungen ist jedoch dieser Informationsbedarf konstitutiv gegeben, er folgt aus der Tatsache des Entscheidens. Denn man kann eine Entscheidung nicht wissen. Sie ist selbst eine Überraschung. Man kann daher nur durch Information in Erfahrung bringen, wie entschieden worden ist. Der Informationsbedarf in der modernen Gesellschaft ist deshalb nicht einfach eine Folge unvollständigen Wissens. Er geht im wesentlichen darauf zurück, daß diese Gesellschaft sich in vielen Dingen und vor allem auch in Strukturfragen von Entscheidungen abhängig macht und daher jede Vernetzung von Entscheidungen über Information herstellen muß.

Dies wird jedoch erst einsichtig, wenn man über ausreichend präzise Vorstellungen über das verfügt, was wir "Entscheidung" nennen.

 

II.

Als "klassische Entscheidungstheorie" soll im folgenden eine Theorie bezeichnet werden, die Entscheidung als eine Auswahl unter Alternativen auffaßt und dafür Rationalitätskriterien zu formulieren versucht. Seit einigen Jahrzehnten leidet diese Theorie unter Erosionserscheinungen, die aber eher die Rationalitätsansprüche als den Entscheidungsbegriff selbst betreffen.

Vor allem im Bereich des wirtschaftlichen Entscheidens sieht man seit den 50er Jahren, daß man sich nicht auf eindeutige Strukturvorgaben durch Märkte mit perfekter Konkurrenz stützen kann. Preisentscheidungen können nicht aus Marktdaten abgeleitet werden, sondern müssen in den Organisationen selbst getroffen werden. Damit erweitert sich die Menge möglicherweise relevanter Informationen so stark, daß es zu kostspielig, also nicht rational wäre, sie alle zu beschaffen. Organisationen müssen mit begrenzter Rationalität (Simon: bounded rationality) zurechtkommen. Dabei halten sie ein mindestens zweistufiges Verfahren ein: Sie entscheiden über Entscheidungsprämissen (zum Beispiel über Zwecke und über Konditionalprogramme oder über die Besetzung von Positionen mit Personen) und sehen dann zu, welche konkreten Entscheidungen zu treffen sind. Auch dabei können nicht alle möglicherweise relevanten Informationen eingeholt werden. Man fixiert Anspruchsniveaus mit Bezug auf die Ergebnisse von Entscheidungen, begnügt sich mit dem Erreichen dieser Anspruchsniveaus und läßt die Frage offen, ob es nicht insgesamt bessere Entscheidungen gebe. Das Bessere ist, wie das Sprichwort sagt, der Feind des Guten.

Ein erster Eindruck wäre danach, daß die Informationsgesellschaft die ihr zur Verfügung stehenden Informationen nur sehr begrenzt nutzt. Diesen Eindruck bestätigen empirische Untersuchungen über das Entscheidungsverhalten des Führungspersonals oder bei der Vorbereitung von Policy-Entscheidungen. Selbst vorhandene Informationen, Statistiken, Geschäftsberichte werden kaum herangezogen. Zumeist wird ohne Lektüre auf Grund interaktioneller Kontakte entschieden. Dies scheint die beste Art des Umgangs mit vieldeutigen Begriffen und Situationsbeschreibungen oder mit schlecht strukturierten Problemstellungen zu sein. Man gewinnt aus diesen Kontakten den Eindruck, ausreichend (oder jedenfalls: ebensogut wie die anderen) informiert zu sein und mißtraut im übrigen der "mikropolitischen" Manipulation von Daten, die durch Weglassen und Betonen frisiert werden, womit der, der sie zusammenstellt, seine eigenen Ziele oder seine eigenen Ansichten fördert. Aus dieser Literatur gewinnt man den Eindruck, daß Führungsentscheidungen weniger durch Auswertung von zusammengetragenen Informationen zustandekommen als vielmehr dazu dienen, Orientierungspunkte für weitere Entscheidungen anzubieten. Es geht, anders gesagt, um Sinnfindung, um "sensemaking", um Limitierung der möglichen Zukunft des Systems; und das Gedächtnis des Systems hält folglich nicht die vorhandenen Informationen fest, sondern die eigenen Entscheidungen.

Nach all dem nimmt es nicht Wunder, daß sich keine Zusammenhänge zwischen elaborierten Informationssystemen und Produktivität feststellen lassen. Die bemerkenswerten Produktivitätszuwächse der letzten Jahrzehnte sind nach wie vor der Produktionstechnologie zu danken und nicht der Verfügbarkeit von mehr Information. Im Gegenteil: die Kosten der Informationssysteme beginnen allmählich, die anderswo erarbeitete Zunahme an Produktivität des Mitteleinsatzes aufzuzehren.

Eine weitere Überlegung könnte bei der Unterscheidung von eher kognitiven und eher reaktiven Entscheidungsstrategien ansetzen. Bei kognitiven Strategien denkt man an langfristige Vorausplanungen, bei reaktiven Strategien an Versuche, mit schon eingetretenen Veränderungen zurechtzukommen. Je turbulenter die Umwelt, würde man als Soziologe vermuten, desto eher empfehlen sich reaktive Strategien, etwa der Personalentlassung, des downsizing, des lean managements. Aber es mag auch andere Gründe geben, Gründe zum Beispiel dafür, daß die Kirchen sich heute weniger mit Mission und mehr mit der Kirchenkrise beschäftigen. Solche spekulativen Hypothesen bedürften sicher einer sorgfältigen empirischen Kontrolle, aber vorerst ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß die "Informationsgesellschaft" eher reaktive als kognitive Strategien begünstigt.

Wenn eine Information nur als Überraschung zustandekommen kann, ergibt sich daraus, daß sie nicht aus der Umwelt in ein System übertragen werden kann. Sie muß systemintern produziert werden, denn sie setzt systemeigene Erwartungen voraus, an denen die Überraschung sichtbar wird.

Informationsverarbeitende Systeme sind demnach operativ geschlossene Systeme. Das heißt nicht zuletzt, daß sie sich systemintern um eine aktive Rolle im Verhältnis zu ihrer Umwelt bemühen müssen. Die Umformung von irritierenden Signalen in Informationen kann deshalb nicht als eine bloße Verlängerung der Umwelteinwirkungen im System verstanden werden. Es handelt sich nicht um eine rein passive Aufnahme von Umweltveränderungen durch das System. Kein operativ geschlossenes System könnte von einer strikt passiv begriffenen Kognition leben und auf eine aktive Rolle gegenüber seiner Umwelt (in anderen Worten: auf Willen) verzichten. Der systeminterne Gewinn von Informationen ist immer auch mitbestimmt durch Rücksicht auf das, "was man damit anfangen kann". Informationsselektionen enthalten daher immer auch ein volitives Moment. Anders könnte ein operativ geschlossenes System sich in der Form von Informationsverarbeitung nicht selbst reproduzieren. Informationen vermitteln, um es psychologisch auszudrücken, die Sensomotorik der Systeme. Dies ändert jedoch nichts daran, daß es um rein interne Prozesse geht. Ob die in Aussicht genommene Verwendung von Informationen ihre Umweltziele erreicht oder nicht, ist eine andere Frage.

Ein ganz anderer Bereich liefert vergleichbare Erfahrungen. Hier geht es um therapeutische Interventionen, sei es Individualtherapie, sei es Familientherapie, sei es Organisationsberatung. Man muß davon ausgehen, daß es keine Interventionstechniken gibt, die es ermöglichten, die für die Therapie nötigen Ressourcen (hier: Informationen) im voraus zu bestimmen und etwaige Behandlungsfehler zu erkennen und zu vermeiden. Statt dessen arbeitet man mit Problemkonstruktionen. Zustände oder Verhaltensweisen, die als pathologisch bezeichnet werden oder sonstwie zu unbefriedigenden Resultaten führen, werden als Lösung eines Problems rekonstruiert, das besser auf andere Weise gelöst werden könnte. Das zu therapierende System muß neu und bei zweiten oder dritten Versuchen immer wieder neu beschrieben werden. Die therapeutischen Vorschläge ("Weisungen") werden in Doppelfunktion entworfen, sie haben zugleich eine therapeutische und eine diagnostische Funktion. Wenn sie nicht erfolgreich sind, erzeugen sie zumindest Information. Man kann dann den Versuch korrigieren und neu beginnen. Das Entscheidungsverfahren verläuft also weithin retrospektiv: Um zu erkennen, was man tun kann, muß man etwas getan haben. "Only after action has taken place is the administrator able to given an historical account of what has happened, and the psychiatrist is very much in the same position", bemerken Ruesch und Bateson. Damit ist aber die Auffassung der Entscheidung als Auswahl in Frage gestellt und erst recht mag man zweifeln, welches Gewicht dann noch die Forderung haben kann, sich vor der Entscheidung sorgfältig zu informieren. Genügt es dann nicht, sich darüber zu informieren, wie jeweils entschieden worden ist?

Auch das Zukunftsverhältnis der üblichen Entscheidungstheorie bedarf einer erneuten Überlegung. Die Zukunft ist und bleibt ungewiß. Das Problem ist deshalb nicht, wie man vor der Entscheidung ausreichende Gewißheit beschaffen könnte. Die Gewißheit besteht allein darin, daß die Ungewißheiten der Zukunft als Sukzessionen bevorstehen, so daß man immer noch korrigierend eingreifen kann, wenn man Entscheidungen in ihren Folgen retrospektiv betrachtet.

Diese nur ganz knapp skizzierten Entwicklungen führen zu der Frage, wer überhaupt die Informationen nutzt, die die Informationsgesellschaft laufend regeneriert. Es scheint, daß die Rationalität selbst sich gegen eine ausgiebige Nutzung sperrt. Aber ist die Rationalität wirklich das Nadelöhr, durch das die Informationen nicht mehr hindurchgehen? Oder ist es die Eigenart von Entscheidungen, die es fraglich erscheinen läßt, ob und wie weit sie auf Informationen gestützt und dadurch begründet werden können.

 

III.

Die Beschreibung von Entscheidungen als informierte Auswahl innerhalb von Alternativen hat zwei verschiedene Serien von Folgeproblemen erzeugt. In einer Reihe geht es um Kriterien der Rationalität und um Möglichkeiten ihrer Verwirklichung. In einer anderen Reihe geht es um die Frage, wer entscheidet. Hier wird dann ein "subjektiver" Faktor berücksichtigt und die Entscheidung als Äußerung eines Willens angesehen, der nicht in Berechnungen aufgelöst werden kann. Letztlich können, hört man, nur Personen entscheiden. Daraus folgt: je wichtiger die Entscheidungen, desto wichtiger die Personen. Von den Entscheidungen, die ihnen zugemutet und zugerechnet werden, erhalten Personen ihren Rang. Die Mythologie der Hierarchie ist ein Nebenprodukt der Art, wie man Entscheidungen begreift, und dies gilt unabhängig von der Art und Weise, wie Entscheidungen in vertikal differenzierten Organisationen tatsächlich zustandekommen.

Dasselbe gilt übrigens für Kollektiventscheidungen, die im Wege von Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip zustandekommen. Wie man seit Condorcet weiß (oder wissen kann), enthält das Mehrheitsprinzip keine Garantie für die Transitivität sozialer Präferenzen. Es kann also zu irrationalen Resultaten führen. Daß man dies hinnehmen muß, ist einsichtig, wenn man davon auszugehen hat, daß Entscheidungen, so oder so, getroffen werden müssen, weil soziale Systeme anders den zeitlichen Veränderungen ihrer Umwelt nicht Rechnung tragen können. Trotzdem berührt merkwürdig, daß die klassische Theorie zu einer derart scharfen Konfrontation von Rationalität und Irrationalität führt — und es dabei beläßt.

Man braucht die Definition von Entscheidungen als Auswahl im Rahmen von Alternativen nicht in Zweifel zu ziehen, aber man muß sie ergänzen. Man muß zusätzlich fragen, wie es zu den Alternativen kommt in einer Welt, die so ist, wie sie ist; und außerdem: wie es überhaupt möglich ist, durch eine Entscheidung etwas zu bewirken, was vorher nicht da war, in einer Welt, in der geschieht, was geschieht, und nicht geschieht, was nicht geschieht. Diese Frage soll uns nicht zurückwerfen in die alte und unentscheidbare Kontroverse zwischen Determinismus und Indeterminismus. Statt dessen fragen wir nach der Form, in der Entscheidungen mit Zeit umgehen, wenn sie in ihre Gegenwart, die als Resultat einer unabänderlichen Vergangenheit gegeben ist, Alternativität hineinkonstruieren; und wenn sie meinen, in ihre gegenwärtig noch unbekannte Zukunft etwas Neues einführen zu können, indem sie bewirken, daß die Welt nach der Entscheidung anders aussieht als vor der Entscheidung.

Eine zweite Überlegung führt ebenfalls auf das noch zu klärende Verhältnis von Entscheidungen zur Zeit. Eine Entscheidung wird insofern zeitfest identifiziert, als sie vor der Entscheidung dieselbe Entscheidung ist wie nach der Entscheidung. Es muß über den Standort einer Müllverbrennungsanlage entschieden werden. Vor der Entscheidung stehen mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Dabei wird schon vorher überlegt, wie die Entscheidung nach der Entscheidung zu rechtfertigen sein wird. Die Entscheidung selbst transformiert eine offene Kontingenz in eine geschlossene Kontingenz. Die gewählte Variante kann verteidigt oder bereut werden, sie bleibt aber immer eine, zu der es andere Möglichkeiten gegeben hätte. Wie ist es aber möglich, daß trotz dieser krassen Differenzen von Vorausschau und Rückschau die Entscheidung als ein und dieselbe identifiziert werden kann?

Um diesen Fragen Rechnung zu tragen, könnte man Entscheidungen definieren als Einführung von Zeit in die Zeit. Zeit ist ja zunächst als eine Art Hintergrundrauschen des ständigen Kommens und Vergehens gegeben. In diese ursprüngliche Zeit kann ein Beobachter die Unterscheidung von Vorher und Nachher einführen, wenn er Zeitpunkte oder Ereignisse identifiziert, die diesen Unterschied machen (das heißt: ohne die er entfallen würde). Da es endlos viele Möglichkeiten für solche Zäsuren gibt, bleibt Zeit im Sinne einer Vorher/Nachher-Differenz beobachterrelativ. Handlungen sind nur möglich, wenn man sie bestimmt als ein Ereignis, das im Hinblick auf Vorher und Hinterher einen Unterschied macht. Das bereitet noch keine besonderen Schwierigkeiten und führt auch nicht zu einer Rückprojektion dieses Unterschieds in die allgemeine Zeit des Kommens und Vergehens. Diese Einführung von Zeit in die Zeit geschieht erst dadurch, daß man das Vorher als Vergangenheit und das Nachher als Zukunft interpretiert. Genau damit wird, so unsere These, aus der Handlung eine Entscheidung. Wie ist das möglich? Und was sind die Konsequenzen?

Als erstes ist leicht zu sehen, daß die Vorher/Nachher-Unterscheidung dadurch der Beliebigkeit ihrer Punktuierung entkleidet und re-universalisiert wird. Alle anderen Vorher/Nachher-Unterschiede sind dann entweder vergangene oder zukünftige Unterschiede. Man mag gleichzeitige Entscheidungen anderer konzedieren, aber die bleiben dann, weil gleichzeitig, unbeobachtbar und insofern irrelevant. Sie wirken sich allenfalls auf künftige Entscheidungen aus, wenn man sie, weil vergangen, beobachten kann. Die Weltzeit ist jetzt eine stets gegenwärtige Zeit, die aber durch Rücksicht auf momentan inaktuelle Zeithorizonte des schon Vergangenen und des noch Zukünftigen mitbestimmt ist; denn ohne diese Differenz wäre die Gegenwart gar keine Gegenwart, sondern nur der jeweils erfahrene Lebensvollzug.

Es gibt derzeit keine überzeugende Theorie der Zeit. Daß die Vorstellung eines Flusses nicht ausreicht, da auch das Feste der Zeit unterworfen ist, wußte schon Aristoteles. Deshalb sein Insistieren auf einem Maß, das diese Differenz übergreift. Aber die Unterscheidung von Vorher und Nachher ist nicht nur, ja nicht einmal primär eine Frage des Messens, obwohl Datierungen hilfreich sind, wenn man Vorher und Nachher unterscheiden will. Dies Problem kann hier nicht gelöst, ja nicht einmal angemessen formuliert werden. Es könnte aber sein, daß man zuerst klären muß, was eine Entscheidung ist, bevor man zu einem angemessenen Begriff von Zeit kommen kann. Denn schließlich leugnet jede Entscheidung ihre eigene Determination durch die Vergangenheit und sie entwirft zugleich eine Zukunft, die von dem abweicht, was ohne die Entscheidung zustandekommen würde. Wie muß man Zeit begreifen, wenn man begreifen will, daß dies möglich ist?

Gleichviel ob man die Weltzeit als chronologisierten Prozeß begreift oder als eine in diesem Prozeß sich ständig erneuernde Differenz von Vergangenheit und Zukunft: die Vergangenheit ist in jedem Falle unabänderlich und die Zukunft in jedem Falle unbekannt (weil noch nicht beobachtbar). Entscheidungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie diese Bedingung nicht annehmen, sondern eine andere Zeit in die Zeit hineinkonstruieren. Die Unabänderlichkeit der Vergangenheit wird nicht in Frage gestellt, aber zugleich wird sie so gedeutet, daß sie für die Gegenwart Optionen offen läßt. Die Zukunft ist und bleibt unbekannt, aber zugleich kann man Unterscheidungen in sie hineinprojizieren — etwa eine Seeschlacht, die man gewinnen oder verlieren kann. In einer sehr formalen Hinsicht werden mithin Vergangenheit und Zukunft gleich behandelt: Die Zustände, die sind, wie sie sind, oder sein werden, wie sie sein werden, werden in Unterscheidungen aufgelöst. Das ermöglicht jene Wiedereinführung der Zeit in die Zeit, vor der oben die Rede war. Man läßt die Zeit nicht einfach laufen. Die Zeithorizonte Vergangenheit und Zukunft werden aufeinanderbezogen und dadurch integriert. Das ändert nicht das geringste daran, daß die Entscheidung die Vergangenheit nicht ändern und die Zukunft nicht bestimmen kann. Und trotzdem beginnt dank dieses Wiedereintritts der Zeit in die Zeit mit jeder Entscheidung eine neue Geschichte.

 

IV.

Entscheidungen setzen, so können wir zusammenfassen, einen Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft voraus, und sie machen zugleich einen Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sie bewirken, daß dieser Unterschied infolge der Entscheidung anders ausfällt, als es ohne Entscheidung der Fall wäre. "Sie bewirken" — das heißt: die Veränderung der Differenz wird auf sie zugerechnet, wie immer die faktisch unübersichtlichen, hochkomplexen Kausalverhältnisse tatsächlich verlaufen. Die Entscheidung macht sich selbst, anders gesagt, durch Zurechnung auf sich selbst sichtbar. Man kann auch sagen: entscheidbar.

Dies hat weitreichende Folgen für die Entscheidungstheorie. Entscheidungen müssen jetzt auf ein Systemgedächtnis zurückgreifen, das regelt, was erinnert und was vergessen werden kann. Dabei ist die wichtigste Funktion des Gedächtnisses das Vergessen, denn das macht die Kapazitäten des Systems frei für neue Operationen. Tatsächlich ist denn auch jedes Identifizieren, Kondensieren, Generalisieren, kurz jede Aufbereitung für Wiederverwendung an korrespondierende Leistungen des Weglassens, wenn nicht der Repression gebunden; und dafür gibt es zunächst keine andere Regel als der Erfolg im Wiederverwenden, also die Rekursivität der Operationen des Systems.

Die Zukunft bleibt unbekannt (anders wäre sie nicht als Zukunft erkennbar), aber das Unbekanntsein der Zukunft ist zugleich die wichtigste Ressource des Entscheidens. Entscheidungen stützen sich hauptsächlich darauf, daß niemand wissen kann, wie die Zukunft aussieht. Deshalb hat es wenig Sinn, die Entscheidung einem "Subjekt" zuzurechnen. Zwecke kann man nur setzen, weil man nicht weiß, wie das aussehen wird, was die Zukunft verhüllt. Selbstverständlich gibt es relativ stabile Annahmen, zum Beispiel die, daß die Alpen auch morgen noch da sein werden. Aber Dasein oder Nichtdasein der Alpen ist kein Thema für Entscheidungen. Wenn man dagegen eine Untertunnellung projektiert, erzeugt man eine Nische des Unbekanntseins der Zukunft, und nur dank dieser Wiedereinführung der Zeit in die Zeit kann man überhaupt entscheiden.

Je mehr sich die Gesellschaft auf Nischen dieser Art einstellt, desto offensichtlicher wird, daß in der Zukunft weitere Entscheidungen fällig werden. Da aber auch mit diesen Entscheidungen eine jeweils neue Geschichte beginnen wird, potenziert die Entscheidungsperspektive das für sie unerläßliche Unbekanntsein der Zukunft. Entgegen allem, was die Natur- und Kulturphilosophen seit Bacon und Vico lehren, ist die Geschichte eben deshalb unvorhersehbar, weil (oder maßvoller: soweit) sie von Menschen gemacht wird. Und es liegt auf der Hand, daß dem nicht durch Information abzuhelfen ist, sondern nur durch Imagination.

Dennoch kann man der Zukunft Struktur geben, indem man Erwartungen formuliert und damit Differenzen in sie hineinprojiziert, die einen Spielraum für Oszillationen spezifizieren. Die Erwartungen werden erfüllt — oder nicht erfüllt. Die klassische Teleologie und ebenso die Theorie des intentionalen Handelns erweisen sich damit als ein Anwendungsfall dieser Oszillatorfunktion. Die primäre Leistung liegt nicht in der informierten Zuverlässigkeit einer Voraussage, sondern in der Spezifikation von Unterscheidungen, die einem flip/flop Mechanismus Struktur geben. Dann kann man auch versuchen, "strategisch" zu denken, also damit zu rechnen, daß sich Erwartungen nicht erfüllen oder daß andere Unterscheidungen sich vordrängen: Der Anzug ist zwar aus hochwertiger Wolle und so haltbar, wie der Verkäufer versprach; aber leider ist die Farbe nicht lichtbeständig.

Vielleicht ist inzwischen deutlicher erkennbar, was mit der dunklen Formulierung einer Wiedereinführung der Zeit in die Zeit gemeint war. Was geleistet werden muß, ist eine wechselseitige Integration von Gedächtnisfunktion und Oszillatorfunktion. Die Unterscheidungen, mit denen ein System sich künftigem Oszillieren überläßt, müssen abgestimmt werden auf das, was das System dem Vergessen überläßt bzw. erinnert. Für die Lösung dieses Problems dürfte es kaum verläßliche Regeln geben. Immerhin kann man es als Testfrage benutzen, wenn man zum Beispiel überlegt, ob das betriebliche Rechnungswesen eines Unternehmens als Gedächtnis ausreicht oder ob das, was es vergißt, wichtiger sein könnte für die Auswahl der Erwartungen, die die Oszillatorfunktion wahrnehmen.

 

V.

Selbstverständlich sollen diese empirischen und begrifflichen Hinweise auf das Entscheidungsverhalten von Einzelpersonen und Organisationen nicht zu der These führen, die "Informationsgesellschaft" sei zu hektisch und zu turbulent, als daß es auf Informationen noch ankommen könne. Jede Entscheidung umgibt sich mit Informationen, setzt Kenntnisse voraus und beschafft sich bei Bedarf notwendiges Zusatzwissen. Aber das ist eine triviale Feststellung, die für alle Gesellschaften gilt. Auch elaborierte Informationssysteme sind nichts, was die moderne Gesellschaft auszeichnet. Die Tontafelnotizen der sumerischen Tempelwirtschaften konnte Transaktionen mit zigtausend Beteiligten festhalten, aber auch darauf aufmerksam machen, daß in einem Lager ein halbes Pfund Wolle fehlte. Und ähnliches wird für die Knotenschrift, das quipus-System der Inkas berichtet. Gewiß waren aber die damals zu treffenden Entscheidungen einfacher und konnten durch ein eigens für sie entwickeltes Informationssystem bedient werden.

Wenn man nun fragt, was sich seitdem geändert hat, wird es nicht ausreichen, auf die Zunahme und den Komplexitätszuwachs der verfügbaren Informationen hinzuweisen. Das ist sicher nicht falsch, gibt aber keinen Aufschluß über die Motorik des Wandels. Das gilt auch, wenn man die Veraltensgeschwindigkeit der Daten in Rechnung stellt, aus denen Informationen gezogen werden können, also den Begriff der Komplexität auch zeitlich versteht. Die Veränderung scheint vielmehr darin zu liegen, daß immer mehr gesellschaftliche Strukturen durch Entscheidungen erzeugt und durch Entscheidungen geändert werden können. Das gilt heute für so gut wie alle Bereiche der gesellschaftlichen Kommunikation: für die Wahl von Regierungen und für das durchgehend positive Recht, für den Stand der Forschung, von dem weitere Forschung auszugehen hat, ebenso wie für Kapitalinvestition im Inland oder im Ausland, für das Angebot und für die Wahl einer Berufsausbildung und für alles, was als Realität angenommen wird, weil die Massenmedien darüber berichten. Selbst Religion ist zur Sache von Angebot und Entscheidung geworden und ebenso Eheschließung mitsamt der Frage, ob und wann man Kinder haben will und wieviel.

Diese Explosion von Entscheidungsnotwendigkeiten, die ihrerseits Konsequenz von Entscheidungen sind und absehbar weitere Entscheidungen nach sich ziehen werden, verlangt neue Formen dynamischer, nicht mehr struktureller, geschweige denn ontologischer, weltgegebener Stabilität. Sie führt zum Entstehen und zur gesellschaftsweiten Ausdehnung der Wahrnehmung von Risiken, so daß man die moderne Gesellschaft nicht nur als "Informationsgesellschaft" sondern, komplementär dazu, auch als "Risikogesellschaft" bezeichnet. Außerdem hat diese Erweiterung der Bedeutung von Entscheidungen den Sinn von "Partizipation" geändert. Teilnahme heißt jetzt: Einfluß auf Entscheidungen haben und nicht mehr: seinen Platz in einem größeren Ganzen finden. Damit wird der Begriff, wie man in den letzten Jahrzehnten deutlich sehen kann, politisiert und mit Erwartungen überladen, die nicht erfüllt werden können.

Ferner zerreißt, verschleiert nur durch den unscharfen Gebrauch des Wortes Information, der Zusammenhang zwischen den riesigen Mengen an gespeicherten Daten und den Entscheidungen, die sich an Informationen orientieren sollen. Die gespeicherten Daten, die Bücher in den Bibliotheken, die Dokumente in den Archiven, die Schaltzustände der Computer, sind zunächst ja nur virtuelle Information, die nur Information wird, wenn man sie nachfragt und sich durch Auskunft oder Ausdruck überraschen läßt. Zur Anfrage oder Abfrage bedarf es jedoch einer Entscheidung.

Die Differenz von virtueller und aktueller Information ermöglicht eine Überbrückung von weltweiter Verfügbarkeit auf der einen Seite und stets nur lokaler und kontextgebundener Erzeugung von Information auf der anderen. Erst die Abfrage macht, das muß pointiert herausgestellt werden, eine Information zur Information. Die Informationsgesellschaft besteht demnach, strukturell und operativ gesehen, aus Abfrageresultaten, die nirgendwo vorhanden sind, sondern mit dem Ereignis der Kommunikation ihren Charakter als Information gewinnen und verlieren. Da viel mehr Wissen vorhanden ist, als irgendjemand wissen kann, muß Wissen deshalb in Information rückverwandelt werden, um gewußtes Wissen werden zu können. Auch das kann man jedoch nur erkennen, wenn man zuvor die Begriffe Wissen und Information deutlich unterscheidet.

Damit schließt sich der Kreis unserer Überlegungen, und wir kehren zurück zu der Frage, in welchem Sinne die moderne Gesellschaft als "Informationsgesellschaft" bezeichnet werden kann. Nur dem Anschein nach sind es die Rationalitätsvorteile, die beim Verkauf von Informationssystemen versprochen werden. Sie lassen sich in der Form von Kosten/Nutzen-Rechnungen nicht nachweisen. Mit mehr Recht macht sich die moderne Gesellschaft mit dem Begriff der Information und der Suggestion, auf Information angewiesen zu sein, aufmerksam auf die prekäre Instabilität ihrer Entscheidungsgrundlagen. Die Entscheidungen müssen sich von Überraschungen abhängig machen, weil sie Überraschungen sind.

Es wird gerühmt, was man heute alles wissen und errechnen kann. Wie einst bei der Einführung von Schrift steht der expressive, nicht der kommunikative Gehalt im Vordergrund. Computer machen Eindruck, gerade weil man nicht sehen kann, wie sie arbeiten. Aber die Form der Information hat auch eine andere Seite. Sie reproduziert Wissen als Überraschung. Alles, was sie bestimmt, könnte auch anders bestimmt sein. Ihre Kosmologie ist eine Kosmologie nicht des Seins, sondern der Kontingenz. Das wiederum führt zu einer Dominanz der Zeitdimension in der gesellschaftlichen Kommunikation. Insofern konvergieren Information und Entscheidung, und beide erzeugen den Eindruck, daß die moderne Gesellschaft ein System mit selbsterzeugter Ungewißheit ist. Dann bleibt nur der Trost, daß man wenigstens entscheiden und sich über Entscheidungen informieren kann. Es ist nur zu gut zu verstehen, daß darauf mit dem Appell an "ethische" Prinzipien und Regeln reagiert wird. Doch führt diese Ausflucht nicht in eine andere, bessere Welt, sondern nur zu der Frage, auf Grund welcher Informationslage und von wem denn über diese Prinzipien und Regeln entschieden wird.